FONDSBOUTIQUEN & PRIVATE LABEL FONDS: Aktienbewertung, Corona & „Horror-Filme“ (Interview, Martin Friedrich, Lansdowne Partners Austria GmbH)

„Die Zeit verweilt lange genug für denjenigen, der sie nutzen will“ (Leonardo da Vinci). Markus Hill spricht für FONDSBOUTIQUEN.DE mit Martin Friedrich, Lansdowne Partners Austria GmbH, über die Bewertung von Aktieninvestments in der gegenwärtigen Konjunkturlage, Risikomanagement, Börsenpsychologie und über vermeintliche Ungeheuer am Kapitalmarkt in Corona-Zeiten.

Hill: Was ist eigentlich mit der Börse los? Die Kurse schießen in den Himmel, der DAX steht schon wieder bei 13.000, stehen wir nicht vor dem schlimmsten Wirtschaftseinbruch seit dem Weltkrieg?  

Friedrich: Ja das Thema beschäftigt uns auch schon seit einer Weile. Es gibt prinzipiell zwei Wege, die Kursentwicklung zu plausibilisieren. Lassen sie mich vorab darauf hinweisen, dass Rezessionen an sich schon immer der beste Zeitpunkt gewesen sind, um Aktien zu kaufen. Das ist so, weil Aktien antizipative Instrumente sind. Deshalb ist es für die Kursentwicklung entscheidend, ob die Konjunktur in der Zukunft besser oder schlechter wird. Mit dem Status Quo hat sich der Aktienmarkt eigentlich immer schon abgefunden.
Wir haben zum Beispiel alle US-Rezessionen seit 1970 untersucht und analysiert, wieviele Monate vor Ende der BIP-Kontraktion Aktien einen Boden ausgebildet haben. Dabei wurde klar, dass es schon zwei bis fünf Monate vor dem Ende einer Rezession wieder bergauf geht, sofern die Entwicklung nur irgendwie absehbar ist. Anders ausgedrückt: wer wartet, bis in der Zeitung wieder gute Nachrichten stehen, hat in der Regel alles schon verpasst.

Martin Friedrich Lansdowne Partners Austria
Martin Friedrich, Lansdowne Partners Austria GmbH

Hill: Was wäre der zweite Weg zur Plausibilisierung?

Friedrich: Bisher haben wir ja nur über die Richtung gesprochen, wir müssen uns aber auch Gedanken über das Niveau machen. Hier hilft ein kleiner Exkurs in die Unternehmensbewertung: Genauso wie bei einer einzelnen Aktie kann man auch einen ganzen Aktienindex als Nettobarwert aller künftigen Zahlungsströme verstehen. Dieser Wert wird von zwei Faktoren bestimmt: wie hoch werden die Zahlungen sein? Und mit welcher Rate zinsen wir ab? Man kann also ein Dividenden-Diskontmodell für einen ganzen Aktienmarkt bauen, und genau das genau das haben wir gemacht. Die Erkenntnis aus dieser Übung liegt darin, dass 86 – 87 % des Gesamtwerts von Aktien Cashflows zuzuordnen sind, welche mehr als fünf Jahre in der Zukunft liegen. Denn anders als bei Anleihen haben Aktien ja kein Ablaufdatum, die Annahme ist eigentlich, dass gelistete Unternehmen ewig leben. Das heißt aber im Umkehrschluss, selbst das theoretische Streichen aller (!) Unternehmensgewinne für die nächsten fünf Jahre dürfte zu einem Einbruch der Börse um gerade mal 13 – 14 % führen.

Hill: Das ist überraschend wenig im Vergleich zu den 36 % die der DAX von Anfang des Jahres bis Mitte März verloren hat. Warum sind dann Ihrer Meinung nach die Aktien so stark gefallen?

Friedrich: Nun, ich hatte über zwei Faktoren gesprochen. Und neben den Unternehmensgewinnen bestimmen auch die Zinsen die Aktienbewertung ganz wesentlich mit. Das Abzinsen künftiger Zahlungsströme ist eigentlich immer mehr eine Kunst als eine Wissenschaft. Es is allgemein üblich, den verwendeten Zinssatz in eine risikolose Komponente und einen Risikoaufschlag zu teilen. Und in einer Panik, wie wir sie im März erlebt haben, ist vor allem die Risikoprämie im Spiel. Sie hat eben kurzfristig sehr hohe Werte erreicht. Mit dem beherzten Eingreifen der Zentralbanken und den wirklich breit angelegten fiskalpolitischen Initiativen hat sich ab der dritten Märzwoche die Risikoprämie normalisiert: Zusätzlich macht sich die Änderung im risikolosen Zinssatz bemerkbar. In den USA zum Beispiel liegen hier 10-jährige Treasuries um volle 1.3 % niedriger als Ende Dezember, bei 30-jährigen sind es noch immer 0.8%. Noch dazu gibt es gute Gründe anzunehmen, dass der Zinsrückgang semi-permanenter Natur sein könnte.

Hill: Interessant, aber wenn die Risikoprämie sich so plötzlich ändern kann, müssen wir nicht davon ausgehen, dass sie auch wieder steigt? Ist – angesichts der wiederum steigenden Fallzahlen – der nächste Börsencrash damit nicht vorprogrammiert?

Friedrich: Nicht unbedingt. Natürlich wäre es irrwitzig, eine Korrektur auszuschließen. Das können Sie nie. Dennoch glaube ich, dass wir die Tiefstände vom März nicht mehr sehen werden. Wahrscheinlich würde eine Korrektur von 5  – 10 % sogar eine Gelegenheit darstellen, Aktien zuzukaufen. Warum? Das hat ein bisschen mit Psychologie zu tun und natürlich mit unserem Verständnis der Kapitalmärkte.
Zunächst die Psychologie: Wir Menschen gewöhnen uns an neue Situationen, und je mehr wir über das Virus lernen, desto mehr verliert es seinen Schrecken. Bestimmt hat jeder schon einen Horrorfilm gesehen: das Monster ist immer am schrecklichsten, eine Sekunde bevor es zum ersten Mal auftaucht! Wir müssen insofern – selbst dann, wenn die Spitäler sich wieder füllen sollten – differenzieren zwischen dem wirtschaftlichen Bewertungseinfluss des Virus und der Angst vor dem Virus. Und es ist die Angst, welche den weitaus größeren Hebel hat – auf das Konsumverhalten als direkter Fundamentalfaktor, aber auch auf die Risikoprämie im Sinne der Aktienbewertung!
Der zweite Grund, warum eine neuerliche Baisse wahrscheinlich weniger schlimm werden dürfte, liegt in der Positionierung der Marktteilnehmer. Anfang dieses Jahres waren fast alle Anleger überinvestiert in Risikoanlagen. Und die mussten dann alle zur selben Zeit verkaufen. Heute ist es anders, viele Investoren haben die Rallye verpasst und haben wieder Anlagedruck. Dafür gibt es sogar harte Zahlen. Die Merrill Lynch Umfrage unter Fondsmanagern zeigt zum Beispiel, dass Profis stark übergewichtet in Festgeld und stark untergewichtet in Aktien sind. Auch die Befragung der American Association of Individual Investors (AAII) zeigt nach wie vor einen starken Überhang an Bären gegenüber Bullen. Damit ist die technische Ausgangslage heute eigentlich recht aktienfreundlich.

Hill: Was könnte dieses positive Bild stören?

Friedrich: Nun ja, vieles. Wenn wir bei der Film-Analogie bleiben, es kann ja jederzeit ein neues Ungeheuer am Börsen-Horizont auftauchen! Immerhin haben wir genug geopolitische Spannungen: China und die USA verstehen sich immer mehr als Konkurrenten im Kampf um die wirtschaftliche und politische Hegemonie, eine kriegerische Auseinandersetzung ist vor diesem Hintergrund vielleicht nur eine Frage der Zeit. Immerhin weiß man ja nicht, wozu Trump fähig sein mag, wenn er im Wahlkampf noch stärker unter Druck kommt. Und selbst nach der US-Wahl können wir uns nicht zurücklehnen: bei einem Sieg der Demokraten steht eine deutlich erhöhte Unternehmensbesteuerung im Raum. Außerdem: Der Brexit ist weiterhin ungelöst, und Nordkorea ist auch nach wie vor ungezähmt. Wir werden also bei Aktienbewertungen auch weiterhin nicht auf die Risikoprämie verzichten können.
Andererseits gebe ich zu bedenken, dass es nicht nur negative Überraschungen geben könnte. Unerwartete positive Entwicklungen sind ebenso möglich. An erster Stelle wäre vielleicht ein medizinischer Durchbruch bei der Behandlung und/oder Impfstoffentwicklung zu nennen. Das wäre angesichts der Energien, die auf dieses Projekt verwendet werden, gar nicht weit hergeholt. Aber auch die Tatsache, dass heute plötzlich fiskalpolitische Wachstumsimpulse salonfähig sind, stellt meines Erachtens einen wesentlichen Paradigmenwechsel dar. Es gab immer wieder Ermahnungen seitens vieler Volkswirte, dass neben wachstumsorientierten Strukturreformen eben auch richtig eingesetzte Fiskalpolitik nötig sei, um aus dem Teufelskreis aus immer weniger Wachstum und immer höheren Schulden auszubrechen. Allerdings wollten unsere zunehmend populistisch orientierten Politiker davon nie etwas hören. Dank COVID-19 ist das jetzt plötzlich anders.

Hill: Wie sind Ihre längerfristigen Erwartungen?

Friedrich: Im Rahmen unserer strategischen Projektionen gehen wir von Erträgen um die 5-6% p.a. für Aktien aus, bei Anleihen werden es zwischen 0,5% und 1,0% sein. Für ein typisches balanciertes Mandat stehen damit bescheidene 3% p.a. in Aussicht. Höhere Erträge sind möglich, aber eben auch mit zusätzlichem Risiko verbunden. Spannende Bereiche sind hier zum Beispiel Schwellenländer oder Private Equity.

Hill: Wie ist Ihr Portfolio momentan ausgerichtet?

Friedrich: Der Lansdowne Endowment Fund ist zurzeit voll investiert und hält knapp 40% Aktien. Taktisch halten wir eine leichte Übergewichtung in Aktien, Absolute Return-Strategien und Katastrophenanleihen, welche wir aus einer Untergewichtung in Anleihen und Festgeld finanzieren.

Hill: Vielen Dank für das Gespräch.


Martin Friedrich ist Portfoliomanager des Lansdowne Endowment Fonds. Er kam im Januar 2019 zu Lansdowne Partners Austria von HQ Trust, einem der größten unabhängigen Multi-Family Offices in Deutschland. Herr Friedrich war dort seit 2009 beschäftigt, zuletzt als Leiter der Kapitalmarktanalyse und Co-Chief Investment Officer. Zusätzlich betreute er Kundenportfolios und war zuständig für den Investmentprozess von LIQID, einem Fintech Unternehmen in Berlin. Ebenso war er in der Wigmore Association aktiv. Wigmore ist eine innovative globale Kooperation acht verschiedener Single-und Multi Family Offices.

LINK zu Lansdowne Partners Austria GmbH: https://www.lansdownepartners.com/austria

Verwandte Nachrichten


Quelle: www.institutional-investment.de
Foto: www.pixabay.com

Artikel teilen