Caduff: Herr Hill, Sie haben in Deutschland auch den Übernamen «Mr. Family Office». Wie haben Sie sich diese Auszeichnung erarbeitet und was steckt dahinter?
Hill: Fremd- und Eigenwahrnehmung können bekannterweise oft divergieren. Zunächst ist zu sagen, dass ich eigentlich aus dem Bereich Produkt-Management «Capital Markets & Asset Management» komme und später auch im Bereich Fondsvertrieb und PR tätig war. Ich lebe seit fast 25 Jahren in Frankfurt und bin in der Finanzindustrie tätig. Seit den letzten 16 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Fondsselektion und Fondsboutiquen, davon 15 Jahre als unabhängiger Consultant. Fondsboutiquen sind bankenunabhängige Asset Manager, eigentümergeführt, spezialisiert und lieben das, was sie tun: Fonds nach den eigenen Vorstellungen managen ohne Konzernvorgaben. Wie bei «normalen» Unternehmern findet man hier viele Spitzentalente, oft mit einer Nähe zu Künstlernaturen. Hier findet man sozusagen den Mittelstand, die Hidden Champions der Finanzindustrie. Viele Family Offices mögen diese Kategorie von Fondsmanagern, oft werden auch interessante Köpfe in Family Offices – sozusagen als «Boutique im Family Office» – entwickelt. Diese Adressen, die auch gerne den fachlichen Dialog mit anderen Family Offices führen, schätzen es, wenn man sich intensiv mit den Köpfen aus diesem Segment beschäftigt, man aufgrund von Fondssearch-Projekten auch viele interessante Manager sieht und diese Informationen gerne teilt, was in der Regel auch keine Einbahnstrasse ist. Wenn man fachlich tief in einem Thema ist, viel auf dem Markt sieht und zugespielt bekommt, wird auch erkannt, dass hier ein echtes Interesse am Thema vorliegt und nicht eine kommerzielle Agenda im Vordergrund steht. Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn beide Seiten ein fachliches Thema haben, über das man sich gerne vertieft austauscht, dann findet man über kurz oder lang mehr zusammen. Meine Verbindung zum Thema Family Offices und Fondsboutiquen ist demzufolge organisch entstanden, hat sich entwickelt. Meine Diplomarbeit habe ich über den «Wettbewerb als Entdeckungsverfahren» geschrieben. Ich habe einfach viele Jahre das getan, was auch viele Fondsboutiquen und klassische Mittelständler machen: Mich mit den Themen beschäftigt, die mich persönlich interessieren, über die ich gerne publiziere und über die ich mich gerne als Moderator oder Panelist mit Fachleuten austausche.
Caduff: Der Begriff «Family Office» ist bekanntlich nicht geschützt. Sind wirklich alle für Familien tätig oder ist es – wie man oft hört – gut fürs Marketing und man betreibt normales Vermögensverwaltungsgeschäft?
Hill: Über die Standardausprägungen und die Vielfalt der Aufgaben von Single Family Offices und Multi Family Offices werden Sie Berge von Literatur finden, da möchte ich hier nicht anmassend dozieren. Um Ihren Sprachgebrauch zu benutzen, es gibt in Deutschland eine wirkliche «Mrs. Family Office», Prof. Dr. Nadine Kammerlander von der WHU Otto Beisheim School of Management. Bei ihr findet man sehr viele interessante Informationen zu dem Themengebiet, natürlich gibt es auch andere gute, interessante Köpfe in dem Segment mit fachlichem Tiefgang. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Sie haben Recht, natürlich wird der Begriff oft «missbraucht», wobei man hier sozusagen nicht päpstlicher als der Papst sein sollte. Natürlich gibt es klassische Single Family Offices (SFO), die von aussen gesehen nie als SFOs wahrgenommen werden, dies oft auch mit einer guten Begründung. Diskretion, Vertrauen, Understatement sind bestimmt ein Teil der Treiber für diese bewusst gewählte «Unsichtbarkeit». Meine persönliche Erklärung für dieses Phänomen umfasst da noch einen anderen Aspekt: Visibilität kann für die fachliche Arbeit von grossem Nutzen sein. Gerade wenn man interessante Fondsmanager entdecken oder auf interessante Investmentprojekte aufmerksam gemacht werden möchte. Das Kommunikationskonzept «Aggressive Nicht-Visibilität» (ANV-Approach) schützt zum einen den Arbeitsprozess im SFO, natürlich auch bei Produktentscheidern bei Multi Family Offices. Warum ist das so? Kein Produktentscheider kann es sich leisten, dass er permanent im Dialog mit Sales-Leuten von Produktanbietern steht oder Gespräche mit Investoren-Suchenden führt. Unter vorgehaltener Hand gibt es oft die Ansicht (O-Ton eines SFO-Vertreters), dass ein Gespräch mit Sales oft mit dem Begriff «Ganzkörperherpes» in Verbindung gebracht wird. Vielen Sales-Leuten, mit denen ich gesprochen habe, ist dieser Sachverhalt bewusst. Ihre Aufgabe ist es nun einmal im Vertrieb sozusagen Viereckiges für den potenziellen Käufer zu Dreieckigem zu machen. Die radikalste Strategie ist hier natürlich Abschottung. Dieser Sachverhalt – «Wettbewerb als Entdeckungsverfahren» – führt oft dazu, dass man nur einen kleinen Marktausschnitt von Investmentopportunitäten wahrnimmt, man sich von Know-how abschneidet. Ich bekomme häufig Einladungen aus dem Bereich Family Offices, wo man sich in geschütztem Bereich über fachliche Themen unterhält. Scheinbar besteht doch das Bedürfnis nach Austausch, nach einem «Über-den-eigenen-Tellerrand-schauen». Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Dieses Bedürfnis hat im Laufe der Jahre zum verstärkten Auftreten von Anbietern im Bereich Family Office-Events geführt. Diese Events müssen sich in der Regel durch Sponsoring finanzieren, ein völlig normaler Sachverhalt, ökonomisch nachvollziehbar. Manchmal besteht natürlich die Gefahr, dass man in Formate geraten kann, wo ein Frisör einem anderen Frisör einen Haarschnitt verkaufen möchte. Wenn das den Teilnehmern zu Beginn bekannt ist, stellt dies für mich kein Problem dar, mancher Sponsor mag da vielleicht anders denken. Gerade hier findet man dann oft die von Ihnen beschriebenen «Pseudo-Family-Offices». Man tut hier aber den Veranstaltern Unrecht. Diese stellen eine Plattform zum Gedankenaustausch zur Verfügung. Die zunehmende Anzahl von Produktanbietern bei bestimmten Formaten kann dazu führen, dass sich auf der «richtigen» Family-Office-Seite Entscheider zurückziehen und wieder verstärkt auf kleine Netzwerktreffen zurückgreifen Ich selber habe öfter einmal Leute aus diesen Segmenten miteinander vernetzt, wenn ich das Gefühl hatte, dass sich die eine Seite mit der anderen Seite sozusagen fachlich angeregt unterhalten kann, ohne eine kommerzielle Agenda – weil ich mir selbst Produkte ansehe, werden mir auch oft interessante Fachleute vorgestellt, denen ich beileibe nicht «das Wasser reichen kann». Ich selbst habe kein Problem damit, wenn Family Offices in transparenter Weise eigene Produkte offerieren, wie diese Adressen sich dann titulieren, erscheint mir zweitrangig. Und was Konferenzen und Fachveranstaltungen betrifft: Egal ob kommerziell oder nicht-kommerziell ausgelegt, zumindest sollte man jedes Format einmal selber getestet haben.
Caduff: Viele kleinere und kleine Fondsboutiquen hoffen, bei Family Offices vorsprechen zu dürfen. Bei Banken sind ihnen wegen der Grösse in den meisten Fällen ja die Türen zu. Macht es denn wirklich für kleinere Adressen Sinn, bei einem Family Office vorzusprechen?
Hill: Auf jeden Fall – natürlich mit der Einschränkung: Nicht für jede Boutique! Volumen ist ein Faktor, aber nicht immer ein KO-Kriterium. Kernelemente für den Erfolg sind Person, Prozess, Performance. Stetige, hervorragende Performance. Und da beginnt dann häufig das Problem. Viele der Kleinen sind unbekannt. Also muss dort Sales oft erst lange erklären, wer man ist – und dann, wer der Manager ist. Und das ist kommunikationsintensiv, da hier nicht der Pull-Effekt greift, sondern sozusagen Push-Marketing betrieben werden muss. Das trifft dann wiederum nicht auf Sympathie bei vielen Fondsselektoren. Im Zweifelsfalle verlässt man sich dann bei der Auswahl von nicht sehr bekannten Adressen auf das eigene Netzwerk oder zieht sich auf digitale Formate zurück. Gerade durch Corona können hier zusätzlich neue Wege der Informationspolitik geebnet werden. Warum schätze ich das Interesse der Family Offices als gross ein? Unternehmer sprechen gerne mit Unternehmern, sie sind Langfristdenker, oft «Spitzenkönner» in ihrem Segment. Wenn der SFO-Vertreter zum Beispiel mit dem Boutiquen-Manager spricht, schätzt er es zudem, wenn der Fondsmanager Skin-in-the-Game hat – eigenes Geld im eigenen Fonds und auch eigenes Reputationsrisiko – wenn er nicht liefert, ist auch der persönliche Ruf angegriffen. Man könnte das auch als eine zusätzliche Komponente von Risikomanagement betrachten. Unternehmer wissen, dass Investieren auch Risiko bedeutet, oft einen langen Atem über viele Marktzyklen erfolgt. Da erscheinen Family Offices, aber auch oft unabhängige Vermögensverwalter, einfach mehr Geduld zu besitzen. Man könnte sogar sagen, dass wenn «Spitzen-Portfoliomanager» und Family Office zusammentreffen, eine Gleichschaltung von Interessen vorliegt.
Caduff: Wenn wir schon bei jungen Unternehmen sind, um einmal auf das Thema Seed Money zu kommen – ist es realistisch, dort erfolgreich zu sein und Gelder einsammeln zu können?
Hill: Das hängt davon ab. Auch ich lerne ja über die Jahre. Der Kernpunkt ist, dass die Suche nach Seed Money sehr zeitaufwändig ist. Die Kunden von mir (potenzielle Fondsinitiatoren) bekommen ja oft nicht mit, wie viele Gespräche bei etablierten und «neuen» seeding-affinen Investoren auf Desinteresse aus den verschiedensten Gründen stossen. Man muss hier in sehr kurzer Zeit ein Ja, Nein und vielleicht in der direkten Ansprache abklopfen. Man vergisst auch, dass hier ein anderer Markt als der übliche vorliegt. Die üblichen Seeder, siehe meine Anmerkung zum ANV (Aggressive Non Visibility)-Approach oben, hängen keine Fahnen aus. Was noch viel interessanter ist, im Prozess der Suche stösst man immer wieder auf neue Adressen. Zumal viele potenzielle Seed-Money-Geber durch einen Anstoss auf den Geschmack gebracht werden können. Hier bestehen Ähnlichkeiten zu den Bereichen Startup-Seeding in klassischer Weise und Venture Capital. Liquide, Nicht-Liquide, Direktinvestment – oft stösst man auf der Entscheiderebene auf dieselben Leute. Wobei am Schluss wieder die Sache an den Experten in der Organisation weitergegeben wird. Unternehmer mögen halt Unternehmer, zumindest hört man sich zu Beginn eine kurze, interessante Story an. Falls die Gefahr ausgeräumt ist, dass danach «penetrantes» Sales-Verhalten an den Tag gelegt wird. Viele Investoren suchen ja nach interessanten Konzepten.
Caduff: Was sagen Sie, wenn Sie solche Anfragen bekommen?
Hill: Die Bäume wachsen nicht zum Himmel, und ich kann nicht über Wasser wandeln. Kopf und Thema müssen für mich interessant sein. Ich muss die Person mögen und fachlich schätzen. Es ist von Vorteil für meinen Kunden, wenn ich bei ihm das Gefühl habe, dass die Investorenseite zumindest einen Mehrwert für einen ersten Gedankenaustausch hat. Deshalb schreibe ich oft über Themengebiete, die in einem konkreten Zusammenhang mit meinen Projekten stehen. Natürlich entstehen auch Enttäuschungen. Wenn der Track Record zu kurz zu sein scheint, wenn man eigentlich Advisory als Zwischenschritt zum Fonds betreiben sollte, aber zu stark auf die eigene noch «unreife» Fondsidee fixiert ist. Oder ganz einfach, kann es auch Ergebnis eines Projekts sein: Das Konzept ist nach Abgleich, Aufbereitung und Diskussion mit potenziellen Investoren einfach nicht als Genug empfunden worden. Das hört kein potenzieller Fondsadvisor gerne. Ich bin aufgrund dieser Punkte dann zugegebenermassen heutzutage wesentlich schonungsloser mit meinem Feedback bei Anfragen. Natürlich spreche ich mit vielen Adressen, ein Gedankenaustausch schadet da oft nicht, manchmal kann man auch einen weiterführenden Hinweis geben.
Caduff: Zu Ihrem Geschäftsmodell: Können Sie in ein paar Worten sagen, welche Dienstleistungen Sie anbieten und was machen Sie so Besonderes?
Hill: Zunächst ist zu sagen – ich tummele mich da einer Nische, mit dem Nach- aber vielleicht auch Vorteil nicht unendlicher Skalierbarkeit. Trotz Corona und Digitalisierung – Menschen sprechen gerne mit Menschen. Kapitalverwaltungsgesellschaften wie Ampega und Hansainvest unterstützen mich durch Sponsoring («Investor-Education-Stipendium») zum Beispiel bei meiner Publikationstätigkeit. Auch die Universal Investment, für die ich Ähnliches für viele, viele Jahre gemacht habe, bin ich dankbar, dass sie mich langjährig als «Multiplikator» in Sachen Fondsboutiquen unterstützt hat. Die Projekte entstehen immer durch Ansprache aufgrund von Weiterempfehlung oder weil viele auf mich zukommen, da ich wohl in der DACH-Region die meisten Meinungskommentare zu den Themengebieten Fondsboutiquen, Fondsboutiquen & Family Offices und Private-Label-Fonds geschrieben habe. Der lange Atem hat hier geholfen, mein inhaltliches Interesse an dem Thema, ich bin ja in meinem Gebiet auch eine Boutique. USP könnte sein: Eigene Seite in Deutsch und Englisch (fondsboutiquen.de). Fachlicher Background von mir (Produktmanagement, Fondsselektion) in Kombination mit der Anmutung (Zitat von einem Kunden von mir): «Sie sind weder ein PR-, Marketing- oder Vertriebsmann ohne tiefe Produktkenntnisse, noch sind Sie ein kommunikationsschwacher Produktspezialist – und bekannt sind Sie auch noch in der Branche, das ist hilfreich für fachlichen Gedankenaustausch!» Vielleicht kann man es so auf den Punkt bringen: Ich vernetze gerne Dinge (Personen, Ansätze) mit Fachkenntnis, mit Filter, qualifiziert miteinander. Connecting-the-dots.
Caduff: Ab welcher Fondsgrösse macht für Sie ein Gespräch Sinn? Was muss man sonst noch vorzeigen können?
Hill: Ich schaue mir «vorurteilslos» viele, viele Konzepte an. Da ich ausschliesslich von dieser Tätigkeit abhängig bin, zählt dies für mich zum Bereich Marktüberblick und Know-how. Man lernt sehr viele interessante Experten kennen, unabhängig von der Tragfähigkeit vieler Konzepte. Für 10 Minuten lesen, 10 Minuten sprechen kann ich mir manchmal, nach Vorauswahl, Zeit nehmen. Ansonsten bin ich sehr klar: Keine Zeit, auf Wiedervorlage, gerne in Verbindung bleiben, es gibt die E-Mail. Kommerziell gesehen: Interessante Person, interessante Vorgeschichte, optimalerweise interessanter, überzeugendender Track Record sind nicht von Nachteil. Es muss einfach fachlich Spass machen und die handelnden Akteure sollten einen fachlich «befruchten» – dann sind beide Seiten glücklich.
Caduff: Womit beschäftigen Sie sich zurzeit intensiver?
Hill: Ich begleite verschiedene Search-Mandate («Boutiquen-unter-dem-Radar»), im sechsten Jahr in Folge steht im 24.09.2020 die Moderation zu «Value & Fondsboutiquen-Thema» in Frankfurt an (SIA Funds AG), am 14.10.2020 eine Moderation in München beim «Private Wealth Forum» zum Thema Alternative Investments (u.a. mit Marcel Müller, HQ Trust) und bereite gerade ein Panel-Fondsselektion in Corona-Zeiten mit Family Offices vor – digital, vielleicht auch physisch, hängt aber von Terminfindung ab, mit Auslandsbezug – finalisiert sich nächste Woche. Ich führe viele Vorgespräche für Fondsmanager-Interviews (Ampega, Lansdowne Partners Austria GmbH, Grönemeyer etc.), ein Seed-Money-Suche-Projekt befindet sich auch in der Stufe 1. Dem Thema «Finanzplatz Frankfurt» widme ich mich mehr und mehr, siehe LinkedIn – Themenkanäle: Frankfurt, Fondsboutiquen, FUND BOUTIQUES, Private-Label-Fonds. (Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich für den Support bei meinen Kolleginnen und Kollegen, allein ist das nicht zu schaffen!)
Zur Person
Markus Hill ist seit Mitte 2005 unabhängiger Asset Management Consultant. Beruflicher Hintergrund sind u.a. Firmen wie SEB Bank (Marketing/Produktmanagement, Investment Banking) und Credit Suisse Asset Management (Vertrieb, Asset Management). Zu seinen Tätigkeitsfeldern gehören die Betreuung von Mandaten im Marketing-, PR-Bereich und Fondsselektion. Als ehemaliger Head of Sales Publikumsfonds bei einer Investmentboutique (Aktien und Renten) und in der externen Zusammenarbeit mit einem Dachfondsmanager stehen kleine- bis mittelgrosse Asset-Management-Firmen im Fokus seines Interesses. Zusätzlich beschäftigt er sich journalistisch mit den Themen Fondsboutiquen (fondsboutiquen.de) und Einsatz von Publikumsfonds bei Institutionellen sowie mit der Thematik Zielfondsauswahl bei Multi-Management-Ansätzen.
Quelle: www.fundplat.com
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