FONDSBOUTIQUEN, EXPERTEN & ROHSTOFFE: Öl, ETFs, Lager, negative Preise, Handel und Nassim Thaleb (Urs Marti)

Finanzanlagen repräsentieren einen Kredit oder eine Beteiligung am Eigenkapital einer Gesellschaft. Somit sind sie fungibel, aufbewahrbar und handelbar. Dies elektronisch oder althergebracht in Papierform. Rohstoffe dagegen sind physische Güter, deren Produktion, Handel, Transport, Aufbewahrung, etc. mit spezifischen Problemen verbunden ist. Sie sind flüssig, flüchtig, leicht, schwer, voluminös, verderblich. Sie können strahlen, eine hohe/niedrige Wertdichte aufweisen um nur einige Eigenschaften aufzuzählen. Es gibt ja hunderte verschiedener Rohstoffe, wovon aus diesen Gründen nur ein kleiner Teil an einer Terminkontraktbörse gehandelt wird. Die ersten Güter welche als Terminkontrakte in Chicago gehandelt wurden, waren Kartoffeln vor hundert Jahren. Der Rohölkontrakt WTI wurde erst zu Beginn der 80er Jahre eingeführt. Die wichtigsten Produkte des weltweiten Bergbaus sind Eisenerz und Kohle. Eine Tonne Eisenerz kostet 80 USD. Dies ist viel zu voluminös, als es in einer Rohstoffbörse lagern kann. Aus diesen Gründen kann man diese Güter nicht an einer Börse physisch handeln.

Urs Marti, Director, SIA Funds AG

Einen Rohstoffpreis “abbilden” kann man jedoch nur wenn man den Rohstoff auch physisch besitzt. Dies ist der Grund weshalb die Menschheit seit tausenden von Jahren Gold als Wertaufbewahrungsmittel schätzt. Aufgrund der hohen Wertdichte, der physikalischen Form und wegen ein paar weiterer Eigenschaften ist es dazu ideal geeignet. Selbst bei Gold ist es jedoch nicht ganz einfach. Es besteht das Risiko von Diebstahl, Entwendung und Enteignung. So delegiert man die Lagerung oftmals an andere Leute, Institutionen und mehr oder weniger vertrauenswürdige “Treuhänder” aus. Bei anderen Rohstoffen wird es problematischer. Man braucht ein Tanklager, ein Silo, eine Lagerhalle. Die Güter müssen dorthin befördert werden. Transport und Lagerung können verboten sein (Uran etc.). Diese Lagerkapazitäten sind oftmals sehr klein im Verhältnis zum Verbrauch und zur Produktion. Bei einer Überproduktion ist schnell zu wenig Lagerkapazität vorhanden und es passiert das, was wir aktuell gesehen haben: Rohöl wurde zu einem spezifisch exakten Zeitpunkt, an einem spezifischen Ort im Preis wertlos beziehungsweise negativ bewertet. Natürlich wird das nicht ewig so bleiben, denn die Produktion wird sich anpassen. Niemand produziert langfristig etwas, das keinen Erlös bringt. Dies ist übrigens ein Phänomen, das in anderen Bereichen sehr regelmäßig auftritt. Die Strompreise notieren alle paar Tage negativ. Die Spitzenzeit der Nachfrage findet in etwa von 7.00 Uhr bis 10.00 Uhr statt, ebenso von 16.00 Uhr bis 19.00 Uhr, gerade im Winter. Bei hoher Produktion durch Windenergie findet sich niemand, der übermäßig Strom verbrauchen will und kann. Einzig die Pumpspeicherwerke in den Bergen können von Produktion auf Verbrauch wechseln und das Wasser in die Stauseen hochpumpen. Diese Kapazität ist jedoch klein. Die negativen Strompreise widerspiegeln die Kosten der “Abschaltung” der Überproduktion . Auf n-tv (Nachrichten-Portal) kam aktuell eine Meldung, dass Brauereien nun Fassbier vernichten müssen.

Beim Öl kann man nur profitieren, wenn man auch die Lagerkapazitäten hat um gratis den Tank zu befüllen und dann das Öl auf der Terminkurve in einem Jahr höher zu verkaufen. Es liegt in der Natur der Sache, daß diese Lagerkapazitäten grundsätzlich “gebucht” sind von den physischen Rohwarenhändlern, im Falle von Rohöl-Firmen wie Glencore, Gunvor, Vitol, Trafigura (Beispiele). Solange die Preisstruktur so aussieht wie gegenwärtig, wird ein Finanzprodukt wie ein Öl-ETF niemals Lagerkapazitäten bekommen. Diejenigen, welche die Lagerkapazitäten haben, machen das Geschäfts selbst. Salopp formuliert kann man sagen, daß die Handelsabteilungen der Glencores der Welt das Geld verdienen, welches die Investoren in Öl-ETFs verlieren.

Die größte Tankerfirma der Welt gehört Herrn Frederiksen, er hat sein Geld auf diese Weise verdient. Mittlerweile gehört knapp 10% der Firma Trafigura. Solange die Terminkurve des Ölmarktes so aussieht wie zum aktuellen Zeitpunkt, sprich die Lagerung von Öl ein gewinnbringendes Geschäft ist, werden die Trafiguras der Welt das selbst machen. Wenn nun ein Öl-ETF bei jedem Verfall 10-20 USD Rollverlust hat, kann eine solche Investition zu einem Totalverlust führen, obwohl der Ölpreis in einem Jahr schon jetzt nicht tiefer als 35 USD notiert. (Der Autor dieser Zeilen hat diesbezüglich einschlägige Erfahrungen gemacht mit dem größten Nat-Gas-ETF der USA, als Beispiel).

Falls man keine Öltanks, Weizensilos und ähnliches hat, besteht die einzige Möglichkeit diese Rohstoffe zu besitzen in Form von Plantagen, Minen, Weizenfeldern, Ölfeldern und Ähnlichem. Das billigste Öl, welches man kaufen kann, stellen die Reserven von Ölfirmen. Natürlich birgt auch dies unzählige Risiken und Probleme. Trotzdem ist es erstaunlich, dass die überwältigende Mehrheit der Investoren solche Rohstofffinanzprodukte einem diversifizierten Rohstoffaktienfonds vorziehen.

Philosophisch darf durchaus diskutiert werden ob Maschinen und Algorithmen dem menschlichen Tun stets überlegen sind. Das unendliche extrapolieren von Trends hat sicher seine Berechtigung, aber mit regelmäßigen Abständen funktioniert die Welt nicht linear. Die Überlegungen von Nassim Thaleb stellen hier eine durchaus erheiternde Lektüre dar!


SIA Funds AG: https://s-i-a.ch

Interview mit Urs Marti: Fondsboutiquen & Private Label Fonds – Rohstoffaktien, Asset Management und Mannheim (Vortrag, 29.1.2020)

Foto: www.pixabay.com

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