„Die Branche muss es schaffen, die Komplexität der Produkte zu reduzieren“ (Interview – Jens Kassow)

Im Gespräch mit dem unabhängigen Investmentexperten Markus Hill: Jens Kassow, Leiter Drittvertrieb bei der Allianz Global Investors Kapitalanlagegesellschaft und Geschäftsführer der Allianz Global Investors Advisory GmbH, über Themen wie Anlegervertrauen, aktuelle Produktstrategien und Aussichten der Branche.

Hill: Wie sehen Sie die gegenwärtige Situation des Marktes für Investmentprodukte?
Kassow: Die gegenwärtige Situation ist in ihrer Ausprägung extrem. Es herrscht eine ausgewachsene Vertrauenskrise. Die Anleger sind von vielen Produkten enttäuscht. Jetzt kann man wieder an die klassischen Argumente für den Fonds erinnern. Investmentfonds sind als Sondervermögen vor der Insolvenz des Verwalters komplett geschützt. Die Midestanforderungen für die Risikostreuung sorgen dafür, dass ein Ausfall einzelner Werte nur begrenzt ins Gewicht fällt. Es herrscht volle Transparenz: Wer einen Fonds kauft, der weiß genau, was darin steckt. Und nicht zuletzt die Kosten, die mit der Kennzahl „Gesamtkostenquote“ auch für den Laien transparent und vergleichbar dargestellt werden. Trotzdem verstehe ich es gut, wenn das Alles vielen Anlegern nicht ausreicht, weil sie dennoch viel Geld verlieren könnten. Jetzt muss jede Gesellschaft prüfen, ob sie mehr Einblick in die Produkte gewährleisten kann. Ich meine, wir müssen „back to the roots“. Wir müssen versuchen, die Komplexität der Produkte weiter zu reduzieren, um für Kunden und Berater klare, nachvollziehbare Produktaussagen zu geben. Die klassische strategische Asset Allokation, die Mischung aus Aktien und Renten in einem Fonds, sollte gegenüber vielen neuen Produkttrends wieder mehr Gewicht bekommen.

Hill: Ist die gegenwärtige Situation vergleichbar mit Börsensituationen in früheren Jahren?
Kassow: Definitiv nein! Nehmen Sie die Beispiele Asienkrise oder das Platzen der New Economy Blase. Das waren Krisen, die nur eine Anlageform getroffen haben –die Aktienanlage. Aber damals gab es gegenläufige Bewegungen, zum Beispiel bei alternativen Anlagen. Was wir im Moment sehen ist, wo immer der Anleger hingreift, außer in Cash oder in Staatsanleihen, greift er daneben. Er ist derzeit überall im Minus.

Hill: Wie können Produktanbieter das zum großen Teil verloren gegangene Vertrauen von Anlegern wieder gewinnen?
Kassow: Wenn Produkte stark an Wert verloren haben oder Immobilien- oder Geldmarktfonds die Rückzahlung blockieren oder von der Schließung bedroht sind, reagieren die Anleger natürlich unsicher. Nehmen Sie auch das Problem mit dem hohen Komplexitätsgrad, wenn sich einzelne Produkte aus teilweise komplizierten Finanzinstrumenten zusammensetzen. Kann der Kunde wirklich nachvollziehen, warum Fonds wegen ABS-Papieren neu bewertet werden mussten und dadurch manche erzkonservative Renten-Produkte auf einmal im Minus liegen? Der Anleger versteht vieles einfach nicht mehr. Hier können wir sicher noch ehrlicher sein. Wir können uns auch gegenüber der allgemeinen Finanzindustrie stärker abgrenzen und auf die konservativen Werte von Fonds setzen. Zunehmend wichtig ist auch die sichtbare Finanzstärke eines Unternehmens, die Vertrauen schafft.

Hill: Was unternimmt Allianz Global Investors konkret in diese Richtung?
Kassow: Ein Beispiel ist unsere aktuelle Kampagne unter dem Motto „Gute Gründe für Ihr Vertrauen“. Wir präsentieren Allianz Global Investors als ein finanzstarkes und damit auch dauerhaft am Markt tätiges Unternehmen, das sich aber auch Gedanken macht, was denn den Anleger tatsächlich im Moment umtreibt.

Hill: Welche aktuellen Lösungsangebote hat Ihr Unternehmen?
Kassow: Wir konnten gerade in Rekordzeit ein Produkt kreieren, das eine klare Laufzeit hat, in Staatsanleihen mit allerhöchster Bonität investiert, und bei dem der Anleger bei Auflage des Produktes genau weiß, mit welcher Rendite er zu rechnen hat, wenn er alles bis zum Ende hält. Für Anleger, die rein auf den Kapitalerhalt zielen, sicherlich eine sehr interessante Lösung. Oder nehmen Sie die Abgeltungssteuer. Die Steuer kommt. Und die Frage ist, ob man dem Staat einfach Geld schenken soll, oder mit einer cleveren Lösung kontern kann. Deswegen haben wir mit dem Allianz OptiInvest Global ein Produkt eingeführt, was heute noch zu großen Teilen im Geldmarkt investiert ist und jeden Monat weitere 5 Prozent umschichtet in ein internationales Aktien-Portfolio. Doppelt gut in der jetzigen Finanzkrise und wegen der neuen Steuer.

Hill: Werden diese Lösungsangebote allen Anlegertypen gerecht?
Kassow: Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wir haben für alle Anlegertypen etwas Passendes. Die Anleger, die derzeit ihr Geld geparkt haben und was ausgesprochen Sicheres suchen, greifen zu Staatsanleihen oder Garantieprodukten. Wir müssen aber auch die Enttäuschten zurück gewinnen, und für die haben wir breit gestreute Standardprodukte, langfristig orientierte und geförderte Vorsorgeprodukte oder unsere Wertsicherungskonzepte. Den einfach nur Unentschlossenen, die auf ihrem Kapital sitzen, wollen wir Anfang nächsten Jahres eine große Produktpalette anbieten, die bisher nur in Asien zu erwerben war. Das mag mancher als Anlage für Mutige deuten, aber wir sehen das Interesse bei Kunden und im Vertrieb, weil es ein zwar hoch volatiler, aber auch hoch rentabler Markt ist, der Perspektiven bietet.

Hill: Welche Rolle spielt der Langfristgedanke bei der privaten Altersvorsorge und der Abgeltungssteuer?
Kassow: Der ist bei der privaten Altersvorsorge natürlich entscheidend. Und wo die gesetzliche Altersvorsorge definitiv rückläufig sein wird, muss ich mich fragen, welchen Baustein habe ich noch? Ich habe eine betriebliche Altersvorsorge. Das ist aber auch noch kein Füllhorn, also muss ich privat vorsorgen. Schaffe ich aber diese Vorsorge mit einem Realzins, der in den nächsten Jahren nicht signifikant über 2 Prozent liegen sollte? Schwierig, dann muss ich die Sparquote entsprechend hochfahren. Ich komme also automatisch wieder zu Asset-Klassen, die über die letzten 30, 40 Jahre gezeigt haben, dass sie eben eine höhere Rendite erwirtschaften, bei höherem Risiko. Also da bin ich wieder bei der Aktie. Wer heute mit 25, 30 oder 35 Jahren auf das Endalter 60, 65 oder 67 spart und wirklich Vermögen aufbauen will, kommt aus meiner Sicht nicht um die Aktienanlage herum. Da sind die Life-Cycle-Konzepte genau das Richtige: Einfach zu verstehen und mit einem klug dosierten Aktien-Renten-Mix auf ein einziges Ziel ausgerichtet, die private Altersvorsorge. Und auch für die Abgeltungssteuer gilt: langfristig ist Trumpf. Ob vor oder nach Ende 2008 – die Anlage in Aktien erscheint weiterhin lohnend. Und die Abgeltungssteuer wird die „handelsfreudigen“ Anleger verstärkt aktiv werden lassen aufgrund des Wegfalls der Spekulationsfrist. 

Hill: Ein Ausblick zum Schluss – gibt es auch erfreuliche Tendenzen für die Fondsbranche?
Kassow: Ich denke, dass 2009 für viele Marktteilnehmer ein herausforderndes Jahr wird. Das erfreuliche für Allianz Global Investors: Wir sehen uns in der Krise jedenfalls bereits jetzt gut mit unserem breiten Produktangebot und unserer Vertriebskraft positioniert. Mit der Integration der cominvest werden wir weiter an Produkt- und Vertriebsstärke gewinnen, und wir haben als Teil der Allianz-Gruppe einen wirklich finanzstarken Rückhalt. Gerade letzteres ist zunehmend wichtig und schafft wieder Anlegervertrauen. Wir sehen gerade, dass kleinere und mittlere Gesellschaften wegen der hohen Mittelabflüsse auf der Kosten-Seite ein Problem bekommen. Das wird bei kleineren Fonds mit Volumina unter 10 Millionen Euro zu Fondsverschmelzungen und -schließungen führen. Für unser Haus streben wir in solchen Fällen möglichst eine für den Anleger steuerneutrale Vorgehensweise an.

Zu den Nachfragetrends bei Fonds gibt es eine ganz klare Aussage: Passive und Wertsicherungsprodukte werden noch eine Weile stark gesucht werden. Für die nach Einfachheit suchenden Anleger werden die breit gestreuten Standardprodukte wieder interessant werden, und die Mutigen werden sich in einzelnen Sektoren oder Märkten langsam ihre Schnäppchen suchen. Wer langfristig anlegen kann, findet auch jetzt seinen Hafen.

Hill: Herr Kassow, vielen Dank für das Gespräch.


Quelle: www.institutional-investment.de
Foto: www.pixabay.com

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