Stiftungen und andere institutionelle Anleger suchen im derzeitigen Niedrigzinsumfeld nach Anlagealternativen. Markus Hill* sprach für FONDSBOUTIQUEN.DE mit dem Portfoliomanager Dr. Stefan Tilch, Deutsche Oppenheim Family Office AG, über die aktuellen Rahmenbedingungen am Kapitalmarkt und über mögliche Investmentansätze.
Hill: Viele institutionelle Anleger sind stark verunsichert. Anleihen werden gerne als „sichere“ Investments gesehen. Was führte zu den deutlichen Kursverlusten quer durch alle Anleihesegmente in den Monaten Mai und Juni?
Tilch: Das erste Halbjahr verlief auf der Anleiheseite bis Ende Mai relativ positiv. Zwar gab es immer wieder negative politische Nachrichten wie die Zypernkrise oder die Turbulenzen um die Wahlen in Italien, aber im Großen und Ganzen bewegten sich die Anleihen doch in einem ruhigen Fahrwasser.
Das änderte sich Ende Mai schlagartig. Der Vorsitzende der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed), Ben Bernanke, kündigte etwas überraschend am 22. Mai einen Paradigmenwechsel in der Geldpolitik an, nämlich, dass die Fed den Ankauf von Wertpapieren beginnend in diesem Jahr bis zur Jahresmitte 2014 schrittweise auslaufen lassen wird. Dabei ging bei den Marktteilnehmern unter, dass diese Ankündigung an eine Reihe von ökonomischen Voraussetzungen gekoppelt war, deren Erreichen keinesfalls sicher ist.
Dennoch hatte dies weitreichende Folgen für die globalen Anleihemärkte. Es kam zu einem unerwartet kräftigen Ausverkauf quer durch alle Anleiheklassen. So stieg die Rendite 10jähriger US-Treasuries binnen weniger Wochen von 1,6% auf 2,6%. Die Rendite der 10jährigen Bundesanleihen erreichte Ende Juni den Jahreshöchststand von 1,81%.
Hill: Dieser Sachverhalt führte zum Beispiel bei zehnjährigen Bundesanleihen in der Spitze zu Kursverlusten von 3,5%. Gerade Stiftungen, die mit jährlichen Ausschüttungen planen, wurden hier böse überrascht.
Tilch: Ich denke, die meisten Marktteilnehmer wurden von der Heftigkeit des Zinsanstiegs auf dem falschen Fuß erwischt. Bis Ende Juni hat sich dann die Situation wieder etwas entspannt, so dass die meisten Anleiheportfolios im ersten Halbjahr vermutlich mit einer „roten Null“ abgeschlossen haben. Offensichtlich war sogar die Fed von der Marktreaktion etwas überrascht und ruderte in den folgenden Wochen verbal zurück. Denn ein zu schneller Zinsanstieg kann nicht im Interesse der US-Notenbank sein, da sonst die Gefahr besteht, dass die Konjunktur speziell im Immobiliensektor frühzeitig wieder abgewürgt wird.
Dennoch hatte dieses Ereignis auch sein Gutes, denn die Anleiheinvestoren waren im ersten Halbjahr etwas zu selbstzufrieden geworden. Gerade institutionelle Investoren stürzten sich auf Neuemissionen und die meisten dieser Anleihen erzielten zum Teil nicht nachvollziehbare Kursgewinne. Emittenten- oder Liquiditätsrisiken wurden weitgehend ignoriert.
Hill: Wie geht es an den Anleihemärkten weiter?
Tilch: Für die kommenden Wochen rechnen wir mit einer leichten Erholung der Anleihemärkte. Eine ganze Reihe von Gründen spricht aus unserer Sicht für sinkende Renditen. Zunächst kämpft die US-Wirtschaft mit einigen Herausforderungen. Die automatische Schuldenbremse für die nationalen Haushalte wirkt sich erst seit dem zweiten Quartal voll auf die Wirtschaft aus. Nach wie vor gibt es eine stille Reserve von Arbeitslosen, die sich resigniert vom Arbeitsmarkt zurückgezogen hatten und mit verbesserten Wirtschaftsaussichten wieder eine Arbeit suchen. Die Weltwirtschaft entwickelt sich in diesem Jahr schwächer, als zunächst prognostiziert. Insbesondere in China bleibt das Wachstum deutlich hinter den Erwartungen zurück. In Europa deuten die meisten Indikatoren eine Bodenbildung an, so dass es in den kommenden Monaten zu einer leichten wirtschaftlichen Belebung kommen kann.
Überdurchschnittliche Wachstumsraten liegen für Europa aber noch in weiter Ferne. Das hat die Europäische Zentralbank zu der Ankündigung veranlasst, dass sie die Zinsen in der Eurozone noch für einen längeren Zeitraum auf dem gegenwärtigen Niveau belassen wird. Diese Faktoren sprechen für sinkende Anleihezinsen und eine Kurserholung der meisten Segmente. Das ändert aber nichts daran, dass die amerikanische Notenbank die Zinswende eingeleitet hat und auf Sicht von 6-12 Monaten mit steigenden Zinsen zu rechnen ist.
Hill: Aber sind dann nicht Unternehmensanleihen noch risikoreicher als Staatsanleihen? Immerhin haben Corporate Bonds in den letzten Wochen noch mehr an Wert verloren…
Tilch: Die Ankündigung der amerikanischen Federal Reserve führte auch an den globalen Märkten für Unternehmensanleihen zu deutlichen Kursrückgängen. Dabei traf es Unternehmensanleihen doppelt: Zum einen fielen die Kurse aufgrund des allgemeinen Zinsanstiegs, zum anderen sorgte die Ausweitung der Kreditrisikoprämien für einen zusätzlichen Wertverlust. Diese Entwicklung ist beunruhigend, denn in den Jahren 1987, 1994, 1999 und 2005 führten stark steigende Zinsen zu einer Verringerung der Kreditrisikoprämien und damit zu einer relativen Outperformance von Unternehmensanleihen. Entscheidend war in der Vergangenheit, wie schnell sich der Zinsanstieg vollzog. Ein abruptes Anziehen der Zinsen so wie in diesem Jahr trifft dagegen Unternehmensanleihen wie dargestellt doppelt. Geht man dagegen für die zweite Jahreshälfte von einem moderaten Zinsanstieg aus, werden Unternehmensanleihen wieder attraktiver.
Hill: Sind Exchange Traded Funds für Unternehmensanleihen im derzeitigen Marktumfeld eine Alternative zu Einzeltiteln für institutionelle Investoren?
Tilch: Grundsätzlich bieten ETFs ein breit diversifiziertes Anleiheportfolio mit einer niedrigen Kostenstruktur. Doch dem stehen auch einige Nachteile gegenüber. Nach wie vor sind die meisten ETFs sogenannte synthetische Nachbildungen des Referenzindex. Das bedeutet aus Sicht des Investors, dass er neben dem Kredit- und Marktrisiko des ETF auch noch ein Kontrahentenrisiko eingeht, da die Indexnachbildung in der Regel über Swaps mit Drittanbietern erfolgt. Deren Bonität bleibt dem ETF-Käufer verborgen, er kann die damit verbundenen Risiken auch nicht einschätzen. ETFs mit physischer Replikation/Sampling-Methode des Referenzindex sind daher aus unserer Sicht vorzuziehen.
Ein weiterer Risikofaktor ist der sogenannte „Survivorship Bias“. Er besagt, dass insolvente Titel aus dem Referenzindex herausfallen und dadurch die Rendite des Index überzeichnet wird. Daneben existiert noch ein anderes Phänomen, das den ETF im Vergleich zu Einzeltiteln risikoreicher macht. Eine neue Studie des EDHEC-Risk Institute zum Thema “Corporate Bond Indices” legt dar, dass es bei der Zusammensetzung der Indizes einen Interessenkonflikt zwischen Emittenten und Investoren gibt. Emittenten werden bei niedrigen Zinsen Anleihen mit längerer Laufzeit begeben und umgekehrt. Daher wird auch der dazugehörige ETF in einem Niedrigzinsumfeld eine deutlich höhere Duration ausweisen und umgekehrt. Das erhöht das Durationsrisiko aus Sicht des Investors deutlich, eine Durationssteuerung wird so konterkariert. Weiterhin besteht laut dieser Studie ein Gegensatz zwischen der Marktliquidität eines Index und dessen Durationsstabilität. Das bedeutet, dass ein breit diversifizierter Index für Unternehmensanleihen in der Regel illiquide ist und umgekehrt. Dieser Risiken sollte sich ein Investor bewusst sein, der auf ETFs zur Ergänzung seines Anleiheportfolios setzt.
Hill: Wie sollen sich Stiftungen im aktuellen Niedrigzinsumfeld verhalten?
Tilch: Der klassische Zielkonflikt zwischen Erhalt des Stiftungsvermögens und Renditeoptimierung ist eine stetige Herausforderung für Stiftungsanleger. Bereits das Renditeziel „3% nach Kosten zzgl. realen Kapitalerhalt“ übersteigt im aktuellen Marktumfeld die Renditepotenziale der meisten Anleihesegmente. Neben der Nutzung von Anleihen zur Vermögensanlage müssen weitere Renditequellen erschlossen werden. Aktien sind ein wichtiger Bestandteil der Asset-Allokation, wenngleich ihr Anteil aufgrund der Risikotoleranz der meisten Stiftungen begrenzt ist. Neben Aktienanlagen ist ein aktives Vermögensmanagement essentiell zur Erreichung einer angemessenen Zielrendite.
Hill: Sollten Stiftungen bei der Verwaltung ihres Vermögens nicht besser auf passive Strategien setzen?
Tilch: Passive Strategien können dann eine Alternative sein, wenn das Stiftungsmanagement relativ frei in seinen Anlageentscheidungen ist und über die nötige Erfahrung in der Umsetzung passiver Strategien verfügt. Viele Stiftungen werden unter Berücksichtigung von individuellen Nachhaltigkeitskriterien gemanaged. Wird das Stiftungsvermögen in einen Index investiert, besteht die Gefahr dass der Index auch solche Titel enthält, die nicht den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen. Viele Stiftungen haben zusätzliche Beschränkungen hinsichtlich des Emittentenkreises, des zulässigen Mindestratings oder der Laufzeit. Erfahrungsgemäß enthalten fast alle Indizes Einzeltitel, die gegen die Anlagerichtlinien verstoßen. Hier muss der Stiftungsrat abwägen, ob die gewählte Anlagestrategie den Richtlinien entspricht. Als Alternative bieten sich sogenannte Stiftungsfonds an, die nach Nachhaltigkeitskriterien gemanaged werden.
Hill: Welche Expertise haben Sie im Management von Stiftungen?
Tilch: Wir betreuen seit Anfang der 90er Jahre Stiftungen in der Vermögensanlage und der Strategieberatung. Darüber hinaus beraten wir Stiftungen und andere nicht-gewinnorientierte Anleger auf den Gebieten Vermögensstrategie, -steuerung und -controlling/-reporting. Derzeit betreuen wir über 20 Stiftungen in der Vermögensanlage. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf ca. 500 Mio. Euro. Wir bieten Stiftungen eine individuelle Vermögensverwaltung ab einem Volumen von 5 bis 10 Mio. € an. Daneben führen wir auch zwei Publikumsfonds als standardisierte Vermögensverwaltung, die sich für kleine bis mittelgroße Stiftungen eignen und nach klar definierten Nachhaltigkeitskriterien gemanaged werden.
Hill: Vielen Dank für die ausführliche Information. Natürlich gibt es einen gesunden Wettbewerb, auch im Bereich der Family Offices. Im Bereich Publikumsfonds gibt es viele interessante Angebote im Bereich Stiftungsfonds bzw. „Vermögensverwaltende Ansätze“. Mittlerweile entwickelt sich hier eine kleine Fondsadvisor- und Fondsselektoren-Industrie. Interessant ist, dass auch bei Ihnen eine Lösung für „kleinere“ Stiftungsvermögen angeboten wird. Wenn man sich mit dem einen oder anderen Family Office austauscht, bemerkt man eine zunehmende Flexibilität hinsichtlich Zielgruppen und Anlagevolumina. Viele kleine und mittelgroße Stiftungen finden hier in Zukunft vielleicht neue Partner – im In- und Ausland.
Quelle: www.institutional-investment.de
Foto: www.pixabay.com