Hill: Viele in Deutschland und darüber hinaus werden nur vage mit Gibraltar und seinem Angebot vertraut sein – können Sie eine kurze Einführung geben?

Frieze: Gibraltar, das an der Südspitze Spaniens – in der Nähe von Malaga – liegt, ist ein selbstverwaltetes britisches Überseegebiet und das schon seit über 300 Jahren. Es hat etwa 32.000 Einwohner, zu denen täglich etwa 15.000 Spanier hinzukommen, die von jenseits der Grenze kommen, um zu arbeiten. Es unterliegt dem englischen Common Law und ist englischsprachig, obwohl fast alle Einheimischen zweisprachig (Englisch und Spanisch) sind. Mit dem Vereinigten Königreich war es Mitglied der EU, trat aber infolge des Brexit zusammen mit dem Vereinigten Königreich im Dezember 2020 aus. Seitdem wird mit der EU über die Einrichtung eines gemeinsamen Reiseraums verhandelt, wodurch es faktisch Teil des Schengen-Raums würde, um weiterhin eine offene Grenze zu ermöglichen.

Hill: Was die Fondsindustrie betrifft – warum kann die Gerichtsbarkeit von Gibraltar für Fondsanbieter im Gegensatz zu Wettbewerbern in der EU interessant sein?

Frieze: Nach dem Brexit hat Gibraltar seine Finanzförderungsregelungen aktualisiert, um sie so weit wie möglich mit den Vorschriften der britischen FCA in Einklang zu bringen. Infolgedessen konnten sich die Regierungen des Vereinigten Königreichs und Gibraltars auf einen gegenseitigen Zugang – oder „Passporting“, wie es im EU-Kontext üblich ist – für Finanzdienstleistungen in beiden Gebieten einigen, der als Gibraltar Authorisation Regime („GAR“) bekannt ist. Somit ist Gibraltar das einzige Land, das einen solchen gegenseitigen Zugang zum Vereinigten Königreich bietet.

Die in Gibraltar regulierten Fonds für erfahrene Anleger („EIF“) können aufgrund der GAR anspruchsvollen, professionellen und vermögenden Anlegern im Vereinigten Königreich im Rahmen einer Ausnahmeregelung von der allgemeinen Beschränkung für die Förderung kollektiver Anlageprogramme im Vereinigten Königreich angeboten werden.

Als kleines Land bietet die Finanzaufsichtsbehörde von Gibraltar, die Financial Services Commission („GFSC“), ein flexibles, spezialisiertes System, das es Fonds ermöglicht, mit einem Kosten- und Zeitvorteil gegenüber größeren, etablierteren Märkten zu starten. Für Fonds, die sich Zugang zum großen britischen Markt für Finanzdienstleistungen verschaffen wollen, bietet Gibraltar also besondere Vorteile gegenüber einem On-Shore-Geschäft im Vereinigten Königreich.

Anthony Frieze

Hill: Welche Möglichkeiten gibt es für den Zugang zum britischen Markt für Fonds und andere Finanzdienstleistungen in Gibraltar?

Frieze: Auf Unternehmensebene erlaubt die GAR kleinen Fondsmanagern im Rahmen der AIFM-Verordnungen nicht den Passport in das Vereinigte Königreich. Dies ist nur als vollumfänglicher AIFM möglich, zum Beispiel durch die Ernennung einer AIFM-Verwahrstelle oder alternativ mit einer MiFID Cat 3-Zulassung als Wertpapierfirma gemäß dem Financial Services Act 2019 von Gibraltar. Bei den folgenden Dienstleistungen handelt es sich um so genannte Teil-7-Zulassungen im Rahmen dieser Zulassung:

  • Entgegennahme und Übermittlung von Aufträgen für ein oder mehrere Finanzinstrumente
  • Ausführung von Aufträgen im Namen von Kunden
  • Portfoliomanagement
  • Anlageberatung für private und institutionelle Kunden

Unternehmen, die über diese Genehmigungen verfügen, können einen Pass in das Vereinigte Königreich beantragen, indem sie sich zunächst an die GFSC wenden, die dann die FCA informiert.

Die FCA bietet einen Leitfaden zum Passporting an (https://www.fca.org.uk/firms/passporting/gibraltar), in dem die folgenden Bearbeitungszeiten für die Meldung von Geldern angegeben sind:

  • Kollektive Kapitalanlagen (UK UCITS) – Erbringung von Dienstleistungen: 1 Monat
  • Kollektive Kapitalanlagen (UK UCITS) – physische Niederlassung: 2 Monate
  • Alternative Investment Fund Managers (UK AIFMD) – Erbringung von Dienstleistungen: 1 Monat
  • Alternative Investment Fund Managers (UK AIFMD) – physische Niederlassung: 2 Monate

Dennoch können kleine Verwalter von Pensionsplänen im Rahmen der GAR weiterhin einzelne Produkte und Fonds in das Vereinigte Königreich „einführen“, indem sie sich auf die allgemeine Ausnahmeregelung der FCA zur Förderung von Finanzdienstleistungen berufen, die wiederum nur für Gibraltar gilt.

Hill: Wie sieht es mit dem Vertrieb bzw. dem Anbieten von Fonds in der EU aus?

Frieze: Gibraltar ist zusammen mit dem Vereinigten Königreich aus der EU ausgetreten und hat in Ermangelung einer weiteren Vereinbarung über Finanzdienstleistungen keine Passporting-Rechte mehr. Daher müssen in Gibraltar ansässige Kollektivanlagen ebenso wie Fonds aus dem Vereinigten Königreich eine Registrierung nach den nationalen Privatplatzierungsregelungen (NPPR) der einzelnen Mitgliedstaaten beantragen. Die Kosten und die Komplexität dieses Verfahrens sind von Land zu Land unterschiedlich.

Im Falle von Deutschland hängen die Anforderungen der BaFin von der Art der anzusprechenden Investoren ab. Im Falle von Kleinanlegern sind die regulatorischen Standards sehr hoch. Aus praktischer Sicht sollte daher der Vertrieb des Fonds auf professionelle und semiprofessionelle Anleger beschränkt werden. (Semiprofessionelle Anleger sind definiert als Personen, die mindestens 200.000 EUR in einen Fonds investieren und über ein gewisses Wissen über diese Art der Anlage verfügen. Der Fonds muss sicherstellen, dass diese Anforderungen erfüllt und angemessen dokumentiert werden).

Der Vertrieb an professionelle und semiprofessionelle Anleger durch einen Fonds mit Sitz außerhalb der Europäischen Union ist in § 330 des Kapitalanlagegesetzbuches geregelt, wonach der Fonds die Absicht, den Vertrieb in deutscher Sprache aufzunehmen, der BaFin anzuzeigen hat. Die geforderten Angaben sind hierbei recht umfangreich.

Die BaFin hat eine Prüffrist von vier Monaten, um zu entscheiden, ob sie eine Anzeige annimmt. Die BaFin erhebt eine einmalige Gebühr von ca. 1.640 EUR und eine jährliche Gebühr von rund 115 EUR (beide mit Stand vom Juli 2022). Die Gebühren für deutsche Anwälte variieren natürlich, aber man kann davon ausgehen, dass sie in der Größenordnung von 10.000 EUR liegen (unter der Annahme, dass der Fonds nur professionelle und semiprofessionelle Anleger anspricht).

Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Deutschland – und auch Österreich – das kostspieligere und komplexere Ende der Palette von NPPR für Nicht-EU-Fonds darstellt. Im Gegensatz dazu sind die Niederlande und der Ansatz der niederländischen Aufsichtsbehörde, der AFM, völlig anders:

  • Hier müssen Sie nicht auf die Genehmigung warten, da nur eine Benachrichtigung erforderlich ist.
  • Die niederländischen Vorschriften sind ziemlich locker, wenn es um die Vermarktung des Fonds an qualifizierte Anleger geht.
  • Die AFM erhebt keine Gebühren, typische Anwaltskosten betragen ca. 750-1.000 € für geleistete Unterstützung und das Ausfüllen und Einreichen der Registrierung.
  • Es gibt keine Melde- oder Hinterlegungspflichten für Nicht-EU-Fonds in den Niederlanden.

Als Alternative zur Beantragung einer förmlichen Registrierung können sich Nicht-EU-Fonds bis zu einem gewissen Grad auf die Ausnahmeregelung für umgekehrte Aufforderungen zur Einreichung von Angeboten (reverse solicitations) berufen – hierbei geht die Initiative von den Anlegern aus, die sich aktiv an die Fondsanbieter wenden.

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