„Keine Benchmark zu benennen ist für uns äquivalent zu der Annahme, dass der Fonds keinen relativen Mehrwert produzieren kann“ (Interview – Jakob von Ganske)

Entscheidungsstrukturen im Bereich Fondsselektion und Asset Allocation im Bereich Family Offices werden in der Fondsindustrie mit zunehmendem Interesse betrachtet. Viele Häuser haben in den letzten Jahren hier zunehmend ihr Know-how ausgebaut. Die Bedeutung von wissenschaftlichen Methoden beim Investmentprozess wächst, auch der klassische Konflikt zwischen aktiven und passiven Produkten wird intensiv diskutiert. Markus Hill sprach für IPE Institutional Investment mit Jakob von Ganske, Direktor Investment Consulting und Risikomanagement, Deutsche Oppenheim Family Office AG über den hauseigenen Fondsauswahlprozess, Strategische Asset Allocation (SAA) und Optimierungspotenziale im Bereich Due Dilligence.

Hill: Wie sieht der Asset Allocation-Prozess in Ihrem Hause aus?

von Ganske: Die Strategische Asset Allocation (SAA) ist in unserem Investmentprozess der erste und wichtigste Schritt, weil hier die großen Fehler gemacht oder vermieden werden. Akademische Untersuchungen zeigen, dass im Schnitt mehr als 90% der ex-post Performance von der SAA abhängig ist. Die SAA definiert darüber hinaus eine langfristige Benchmark, gegen die sich Mehrwert durch aktives Management messen lässt. Ohne SAA kann keine objektive Messung des Mehrwerts der Vermögensverwalter beziehungsweise Fonds stattfinden. Für die Durchführung einer SAA-Beratung braucht man Erfahrung. In mehreren aufeinanderfolgenden Gesprächen wird gemeinsam mit dem Mandanten dessen individuelles Ertragsziel und seine Risikobereitschaft ermittelt. Höhere Ertragsziele sind nur mit einem höheren Risiko vereinbar, so ist der Grundsatz. Sobald ein langfristiges Rendite-Risiko-Profil gefunden wurde, welches optimal zu den Rendite/Risiko-Präferenzen des Investors passt, werden in einem zweiten Schritt die einzelnen Anlagebausteine ausgewählt, die dieses Profil am besten wiederspiegeln. Erst ab diesem Punkt beginnt die eigentliche Produktauswahl in Form von Fonds, Vermögensverwaltern und ETFs. Dieser Prozess garantiert eine in sich konsistente und für den Mandanten transparente Investmententscheidung. Zur Ermittlung des Rendite-Risiko-Profils dient uns ein modernes und akademisch fundiertes Modell, das mit Hilfe von Monte-Carlo-Simulationen kurz- und langfristige Chancen und Risiken eines Portfolios realistisch abbildet. Die Verteilungen der simulierten Renditen unserer Assetklassen weisen dabei empirisch belegte „fat tails“ auf und gehen damit – aber auch in verschiedenen anderen Aspekten – deutlich über das bekannte, aber nicht mehr zeitgemäße Markowitz-Modell hinaus.

Hill: Wie sieht der Fondsauswahl-Prozess bei Ihnen aus?

von Ganske: Es kommt hier auf die richtige Balance aus quantitativer und qualitativer Analyse an. Die quantitative Analyse ist komplex und mit viel statistischem Handwerk verbunden. Es geht um mehr als nur einmal einen Blick auf die Performance-Zahlen zu werfen. So muss erst einmal eruiert werden, ob die untersuchten Fonds die „richtige“ Benchmark angeben, also eine Benchmark, die auch dem Investmentuniversum entspricht. Dem ist oftmals nicht so, man spricht hier von einem „Benchmark-Mismatch“. Auch muss untersucht werden, ob ein Fonds deswegen Outperformance generiert hat, weil er strategisch defensiv (Beta kleiner 1) oder offensiv (Beta größer 1) aufgestellt ist. Auch andere Risikoprämien im Bereich der Investmentstile – wie z.B. Value- oder Small-Cap bei Aktien – müssen extrahiert werden. In einem dritten Schritt muss dann statistisch ermittelt werden, ob relativ zur oben erstellten „wahren“ Benchmark Glück oder Können vorliegt. Letztendlich geht es darum: Liegt die Fondsperformance tatsächlich am Können des Managers? Oder war es vielleicht Glück, ein „Benchmark-Mismatch“ oder auch eine systematische Abschöpfung von Risikoprämien. Die gleiche Fondsperformance hätte vom Investor in diesem Fall vielleicht mittels Exchange Traded Funds (ETFs) viel günstiger eingekauft werden können.

Hill: Wie geht es dann weiter?

von Ganske: Die qualitative Analyse ist prozessual der vierte und letzte Schritt und enorm wichtig um Schwächen im Investmentprozess zu identifizieren. Wir suchen gezielt nach „Dealbreakern“, denn eine qualitative Analyse kann unserer Ansicht nach nur neutral oder negativ sein. Sie sollte niemals die Grundlage für positive Entscheidungen sein, denn dafür ist eine qualitative Analyse viel zu sehr abhängig von subjektiven Eindrücken des Analysten. Mit dieser Betrachtung unterscheiden wir uns stark von der Herangehensweise anderer Fondsselektoren im Markt. Um den hier beschriebenen Prozess zu institutionalisieren, haben wir gewisse Grundregeln festgelegt, also „Axiome“, die den Rahmen unserer Analyse festlegen. Erstens, jeder aktive Fonds braucht eine Benchmark. Keine Benchmark zu benennen ist für uns äquivalent zu der Annahme, dass der Fonds keinen relativen Mehrwert produzieren kann. Die Benchmark muss das Investmentuniversum wiederspiegeln. Als Beispiel: Ein US-Fonds, der 20% Europaaktien hat und sich nur gegen den S&P 500 misst, ist für uns als nicht investierbar zu betrachten. Ein Fonds, der sich gegen den MSCI Welt misst und Gold, Wandelanleihen, EMBI-Bonds etc. im Portfolio hält, ist nicht bewertbar und demnach ebenfalls nicht investierbar. Die Ausnahme sind Absolute-Return-Fonds, die sich gegen eine absolute Benchmark (z.B. Geldmarkt + 2% p.a.) messen und wir haben strenge Kriterien wann ein Fonds „Absolute Return“ ist und wann er nur vorgibt einer zu sein – Stichwort „Marktneutralität“. Zweitens, der Fonds muss, wie eingangs erwähnt, zur SAA passen. Drittens, eine Streuung der Wetten ist elementar. Ein Fonds, der nur „Aktienmärkte hoch oder runter“-Wetten eingeht, hat keine Diversifikationseffekte und ist für uns nicht investierbar. Viertens, der aktive Mehrwert des Fondsmanagements muss über die Zeit hinweg konsistent sein. Damit vermeiden wir Fonds, die nur ein oder zweimal in Ihrer Historie eine große erfolgreiche Wette eingegangen und davor und danach um die Benchmark herum „gedümpelt“ sind. Als gutes Beispiel dient die Finanzmarktkrise im Jahr 2008, weil da Fonds und Manager an die Oberfläche aller Rankings gespült wurden, die angeblich die Finanzmarktkrise „vorhergesehen“ haben und seitdem keinen aktiven Mehrwert mehr erwirtschaftet haben.

Hill: Warum ist es wichtig, die Asset Allocation und die Fondsauswahl als aufeinander aufbauenden Prozess zu sehen?

von Ganske: Weil nur so Risiken und Renditepotenziale transparent werden. Die Risiken seines Portfolios zu kennen ist für einen Investor elementar, allein schon deswegen um Panikreaktionen zu verhindern – schlimmstenfalls verkauft der Investor sonst zum Tiefpunkt und verpasst den Rebound, wie man oftmals in der Finanzkrise in 2008 beobachten konnte. Aber nicht nur das liquide Vermögen ist betroffen. Eine gute SAA eruiert über das Gesamtvermögen des Mandanten hinweg eine optimale Vermögensstruktur und nicht nur über einzelne kleine liquide Subportfolien, die in der Regel aggregiert nicht den Präferenzen des Investors entsprechen werden. Und last but not least, weil nur so die Performance aktiver Manager gemessen werden kann. So können schlechte Manager überhaupt erst erkannt und desinvestiert werden, um an deren Stelle in bessere aktive Manager oder auch in ETFs zu allokieren.

Hill: Wenn Sie alternative Vorgehensweisen im Bereich Asset Allocation und Fondsauswahl in der Branche betrachten – wo sehen Sie Optimierungspotenziale?

von Ganske: Erstens, die SAA wird von den Vermögensverwaltern und Banken zumeist entweder ignoriert oder nur ad hoc und simplifiziert betrieben. Sehr oft beinhaltet die „SAA“ kurzfristige Prognosen, was wiederum die Ergebnisse ad absurdum führt, weil das Einbauen von kurzfristigen Prognosen dazu führt, dass die SAA ihre Daseinsberechtigung in Form einer objektiven Entscheidungs- und Bemessungsgrundlage verliert. Außer unserem Haus und einzelnen großen Akteuren, zum Beispiel Investoren aus dem Versicherungsbereich, macht sich kaum jemand die Mühe, eine moderne, akademisch fundierte und von Interessenskonflikten freie SAA-Umgebung auf die Füße zu stellen. Gerade bei Banken wird oftmals mit Optimierern basierend auf ein-periodigen Modellen à la „Markowitz“ gearbeitet, welche eine Normalverteilung der Renditen voraussetzen, keine Zeitstruktureffekte darstellen können und Optimierungen verwenden, die sehr sensitiv auf die geschätzten Parameter reagieren. Diese Probleme sind in der akademischen Forschung schon lange bekannt. Ohne eine vernünftige und zeitgemäße SAA-Beratung kann man aber gar nicht einschätzen, welche Produkte für den Mandanten von Vorteil sind beziehungsweise zu ihm passen.

Hill: …und weiter?

von Ganske: Zweitens, dass in der Asset-Manager-Welt oft (allerdings auch mit durchaus vielen leuchtenden Ausnahmen) die Performance der jeweiligen Fonds nicht transparent dargestellt wird, sei es durch die Unterschlagung der Kosten, die Darstellung von Composite-Zeitreihen, die keine Aussagekraft über den tatsächlichen Fondsverlauf zulassen, oder auch die wiederholte „Anpassung“ der Benchmark, je nachdem gegen welche der Fonds am besten aussieht. Damit kämpfen wir hier in der Fondsanalyse fast tagtäglich. Dazu gehört, dass – auch von Fondsanalysehäusern – oftmals Fonds empfohlen werden, die keine gute Performance aufweisen und man stattdessen besser in einen ETF hätte investieren können. Hier gibt es Segmente, bei denen kein belastbarer aktiver Mehrwert generiert wird und statistisch gesehen auch gar nicht generiert werden kann, denn wie wollen Sie in einem Aktienuniversum von einigen wenigen teilweise hochkorrelierten Titeln überhaupt Mehrwert generieren? Und trotzdem werden diese aktiven und teuren Fonds verkauft und gekauft. Hier sollte man als Fondsanalysehaus auch den Mut haben zu sagen: „Es gibt in diesem Segment keine guten aktiven Produkte, nimm einen ETF.“

Hill: Vielen Dank für das Gespräch.


Quelle: www.institutional-investment.de
Foto: www.pixabay.com

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